Der Virustest

Das Virus stellt uns alle auf die Probe: Wir können uns selbst zusehen, wie es mit uns Schlitten fährt und schon erledigt geglaubte Dramen zur Wiederaufführung vorschlägt. Vielleicht kommen dir ja ein paar davon bekannt vor:

Das Gefühl, immer zu kurz zu kommen?
Sich grundsätzlich gegen Vorgaben von außen wehren zu müssen?
Dass andere mir übel wollen und ich mich dringend schützen muss?
Dass ich für mich allein kämpfen muss, denn auf die anderen ist kein Verlass?
Dass da nichts ist, was Halt gibt und Sinn macht?
Dass die anderen doch eigentlich auf mich Rücksicht nehmen sollten?
Dass das alles eh’ nichts nützt und es keine Wahrheit gibt?
Dass die Welt voller böser Mächte steckt und überall Gefahren lauern?

So viele Ängste. So viele Glaubenssätze. So viel gute, wichtige Energie, die in solchen Dramen versickert – dabei könnten wir sie dringend für Wichtigeres gebrauchen!

Wir erinnern uns: Wofür war Tantra nochmal gut -?
Richtig: Für ein Leben frei von (neurotischer) Angst.

Um frei von Angst leben zu können, braucht es einen hohen Grad an Klarheit, Freundlichkeit und Bewusstheit – und die sind in verwirrenden, ermüdenden Zeiten nicht leicht zu halten, sofern wir nicht ausreichend Energie dafür haben. Wenn wir die vorhandene Energie aber in Verwirrung, Verzweiflung, Aufeinander-Herumhacken und das Füttern unseres Egos investieren, bleibt für die konstruktiven Qualitäten nicht genug übrig, und wir versinken leicht in Depression, Zank und Rechthaberei.

Natürlich ist die Lage angespannt. Selbstverständlich steht viel auf dem Spiel. Ja, wir alle sind erschöpft, zerzaust, halb aufgedröselt. Ganz viele haben inzwischen das Gefühl, sie können nicht mehr.

Und dennoch: Wir sind in der Zielgeraden, Leute.
Habt Vertrauen und haltet noch ein bissl durch!
Buttert eure Energie in Zuversicht, Miteinander, gegenseitige Unterstützung, kreative Lösungen (nein, das bedeutet nicht “Ich finde ein Schlupfloch in den Maßnahmen”) und ja, in Disziplin – eine der höchsten tantrischen Qualitäten!

Lasst uns noch nicht der großen Verlockung erliegen, endlich, endlich wieder zusammen zu sein: Schon richtig, in Privaträumen wird nicht kontrolliert. Aber angesteckt schon, sofern wir uns nicht an die wissenschaftlich abgesicherten Vorgaben halten (testen/impfen, Abstand, Atemschutz).

Und jedes solche Treffen (“Ach, das muss jetzt einfach sein, pfeif auf die Maßnahmen, uns passiert schon nichts”) macht es anderen, die sich mühsam und unter großem Verzicht an die Vorgaben halten wollen, damit es uns nämlich allen möglichst bald möglichst gut geht, das Leben deutlich bitterer: Wenn viele bei Rot über die Kreuzung gehen, fühlt man sich als einsamer Trottel, wenn man auf Grün wartet, obwohl man damit den Kindern ein lebensrettendes Beispiel gibt.
Das rüttelt an der Entschlossenheit, das Richtige zu tun, und lässt Ärger, Vorwürfe und das Ego selbst der Tapfersten wuchern.

Der Versuchung nicht nachzugeben bedeutet aber nicht, dass man sich verstockt im Eck versumpfen lässt: Die gegenwärtige Situation, vom Virus losgetreten, schreit förmlich nach einer erwachsenen Lösung. 
Wie die geht?
Die geht ungefähr so: Was immer mir begegnet, egal wie widrig die Umstände sein mögen – ich richte mich darin häuslich ein und gestalte sie mir so angenehm wie möglich. Nicht auf Kosten anderer, sondern zum gemeinsamen Nutzen.
Ich öffne mich den Stunden, die ich allein mit mir bin, und bringe im Idealfall den Mut auf, ungeschönt aber freundlich auf mich selbst zu blicken, mit all meinen Ängsten, Träumen, Sehnsüchten und Ticks, statt vor mir selbst davonzulaufen und mich mit Fernsehen, Essen, Trinken oder endlosem Scrollen zu betäuben. 
Ich nutze diese Zeit, um Dinge abzuschließen, was schon ewig darauf warten, und zu denen ich im Vollbetrieb des Alltags ohnehin nie komme: dieses Bastelprojekt, oder mit meinem Kind eine Geschichte schreiben, oder meine Patientenverfügung aufsetzen, oder mich bei diesem einen alten Freund entschuldigen, oder endlich den Kleiderschrank ausräumen.
Ich bleibe beherzt mitten im Strom des Lebens, neugierig und aufmerksam, und öffne neue Türen: Wie wär’s mit einem neuen Hobby? Oder einer Ausbildung? Oder dem Einsatz meiner Zeit + Energie für einen guten Zweck? Und vielleicht ist Zoom ja gar nicht so vertechnisiert und gefühlsfern?
Vor allem aber: Ich haushalte gut mit meiner Energie, achte auf Schlaf, Ernährung und Bewegung (klingt abgedroschen – ist aber deswegen nicht weniger wahr), pflege aktiv (!) meine Beziehungen und bin ein Beitrag fürs Große Ganze, so gut es mir im Moment möglich ist. 

Statt uns selbst zu bedauern, aufzugeben und/oder nach persönlichen Vorteilen zu haschen, lasst uns also lieber gemeinsam den Virustest bestehen!

Die gute Nachricht ist nämlich: Nichts wird bleiben, wie es ist.
Und während diese Wahrheit oft einen bedrohlichen Beigeschmack hat, hat sie doch in Pandemiezeiten etwas ungemein Tröstliches: Auch diese Zeiten werden vorbeigehen. Versprochen.
Wir werden wieder zusammenkommen, uns umarmen, kuscheln, lachen, stundenlang plaudern, ausgelassen tanzen, uns innig austauschen, Wärme und Nähe spüren.
Das kommt alles, sobald wir den Test bestanden haben.
Bald.
Die guten Dinge biegen förmlich schon um die Ecke!

Und sie kommen umso schneller, je mehr wir jetzt alle zusammenhalten und an einem Strang ziehen.

© Helena Krivan 2021

 

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