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Warum Tantrika keinen Verschwörungsgeschichten nachhängen

Die Sache ist sehr einfach: Authentisches Tantra zu üben und Verschwörungserzählungen nachzuhängen schließt sich gegenseitig aus.
Hier nur einige der Ursachen dafür:

  • Tantra-Übende sind sich bewusst, dass sie nichts Besonderes sind. Sie sind ganz normale Menschen, machen Fehler, irren sich, missverstehen andere, flippen aus – und korrigieren ihre Irrtümer, sobald sie sie erkennen und so rasch sie es in der jeweiligen Situation fertigbringen. Sie bemühen sich um Erkenntnis, sind aber nicht im Vollbesitz der Wahrheit – weit entfernt davon. Und das wissen sie.
  • Alles was sie tatsächlich wissen, kann man in einer guten Enzyklopädie nachschlagen, oder auf Wikipedia, oder bei Expert*innen erfragen. Sie sind keine “eingeweihten” Geheimnisträger – und die Dinge, die sie mit anderen vielleicht nicht teilen, kann jede*r mit etwas Engagement selbst erfahren. 
  • Wer sich auf einem authentisch tantrischen Pfad befindet, glaubt nicht, dass andere ihm/ihr übel wollen. Ja, es gibt Menschen, die anderen schaden, indem sie vehement ihre eigenen Interessen durchsetzen; das ist aber in den allermeisten Fällen nicht persönlich gemeint – schon gar nicht, wenn es sich dabei um Institutionen wie “die Medizin” oder ganze Staaten handelt (ein Staat, der seine Bürger*innen auslöschen möchte, wäre wie jemand, der am Ast sägt, auf dem er sitzt).
  • Auf dem tantrischen Pfad übt man sich in Authentizität – und das führt auch dazu, dass man Wahr von Falsch zu unterscheiden lernt, zB. in den Medien.
  • Der tantrische Weg fördert neben Qualitäten wie Erkenntnis, Bewusstheit, Verbindung zu allem was ist herstellen und daraus resultierender Lebensfreude auch rationales Denken, Vernunft und Logik: Dass eine Verschwörung, die allgemein bekannt ist, keine sein kann, leuchtet dem rationalen Blick ein.
  • Ernsthaft Übende verzichten darauf, Recht haben zu müssen. Sie haben nicht den Drang, die anderen von der eigenen Wahrheit zu überzeugen; sie wissen, dass man vieles aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann. Die Frage ist: Wie können wir Wege finden, friedlich zusammenzuleben?
  • Um diese Frage zu beantworten, finden Tantrisch Übende Halt und Orientierung in ethischen Grundsätzen. Je fortgeschrittener, desto gelassener, milder und geduldiger mit sich und anderen.
  • Vielleicht der wichtigste Punkt: Wer sich ernsthaft mit authentischem Tantra beschäftigt, löst sich von Konzepten wie “wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen” oder vereinfacht, “wir gegen die anderen”. Denn wenn ich – vielleicht nur für einen kurzen Augenblick – wirklich erkannt habe, dass ich mit allem verbunden bin, dass es keine Trennung gibt, dass alles was ich für oder gegen andere tue, ich mir selbst antue, und umgekehrt, kann ich meine Opferhaltung nicht mehr aufrecht erhalten. Und damit werde ich wieder handlungsfähig und kann Entscheidungen treffen: Entscheidungen mit Herz. Und mit Hirn.

© Helena Krivan, 2023

Pinguin

Vogelgeschichte

 

Diese Geschichte hat sich tatsächlich so zugetragen. Also, so ungefähr.
 Sie erzählt von einem Wunschtraum, der durch Beharrlichkeit, Mut und Freude Wirklichkeit geworden ist. 

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Die Geschichte,

die ich erzählen möchte, handelt von einem Vogel, und man kann durchaus sagen, dass es ein seltsamer Vogel war. Die anderen Vögel waren ihm nicht ganz geheuer. Die Spatzen beispielsweise. Was sollte er mit denen anfangen? Die pickten auf, was es aufzupicken gab, und zwitscherten in den Tag hinein. Zwitschern war ihm kein Anliegen. Und dann erst die Schwalben! Wenn die Schwalben anfingen, über das Fliegen zu schwärmen, und wie schön und wie toll, dann wurde ihm unbehaglich zumute. Mit dem Fliegen hatte er es nicht so, ehrlich gesagt: so richtig geflogen war er noch nie – so mit: einer Minute in der Luft Bleiben, oder sagen wir: 15 Sekunden. Der Vogel, von dem meine Geschichte erzählt, war ein Pinguin.

Er war etwas schwerfällig. Er konnte zwar eine beachtliche Wegstrecke watschelnd zurücklegen, aber das fiel ihm nicht leicht. Er war ja schließlich keine Ente. Und vom Fliegen hatte er natürlich keinen blassen Schimmer. Im Winter ging er gerne Eislaufen. Sehr elegant wirkte er da. Anfangs hatte er zwar kurz zu trippeln, aber wenn er einmal in Schwung kam, dann glitt er übers Eis, in langen Zügen, er schwebte förmlich, und wenn niemand zusah, breitete er sogar die Flügel aus. Und weil er vom Eislaufen nicht genug kriegen konnte und bis in den Frühling hinein seine Kreise zog, kam es, wie es kommen musste: Eines Tages brach er ein, der Strudel zog ihn unter Wasser und mit Müh und Not nur konnte er sich retten.

Tags darauf traf er seinen Freund, das Zebra. Sie hatten sich in einem Innenstadtcafé verabredet.

„Stell dir vor“, sagte er, „stell dir vor, gestern wäre ich beinahe ertrunken! Ich bin eingebrochen, und der Strudel hat mich nach unten gezogen, bis hinunter zu den Fischen, und da waren mir meine Flügel endlich einmal zu etwas nütze: Ich bin geflogen, kannst du dir das vorstellen?“

„Schon“, sagte das Zebra und zündete sich eine Zigarette an.

„Stell dir vor“, sagte der Pinguin, „unter Wasser geflogen! Gibt’s das überhaupt?“

„Naja“, sagte das Zebra, „wieso soll es das denn nicht geben? Schließlich gibt es ja auch Seepferdchen, und von fliegenden Fischen hab’ ich auch schon gehört.“

„Seepferdchen und fliegende Fische?“ sagte der Pinguin, „Gute Güte!“ und nippte an seinem Glas.

„Und stell dir vor: dieser Temperaturschock! Das Wasser muss um diese Zeit ja eiskalt gewesen sein! Ohne mein dichtes Federkleid wäre es schlecht um mich bestellt gewesen! Da habe ich noch einmal Glück gehabt. Mein lieber Schwan!“

„Mein lieber Schwan!“ sagte das Zebra. „Mein lieber Schwan!“

So haben sie geredet, das Zebra und der Pinguin.

Das hat ihn nachdenklich gemacht, und er ist nach Hause gefahren, mit dem Bus. Und zu Hause hat er sich ein kühles Bad eingelassen, randvoll, und sich in die Wanne gelegt. „Da muss ich noch ein bisschen darüber nachdenken“, hat er sich gedacht, „wie das ist mit dem unter Wasser Fliegen“ – und hat ein bisschen mit den Flügeln geplanscht … angenehm war das, und nachgedacht hat er … plansch … plansch … und das tat ihm gut, einfach so … gedankenverloren … mit den Flügeln … plansch … plansch … Und wie er so mit den Flügeln nachdenkt in seiner Badewanne, selig, bekommt er Appetit, und er holt sich eine Portion Sushi aus dem Kühlschrank, das war seine Lieblingsspeise, mehr noch als Thunfischpizza … plansch, plansch, schwebt er da, in seiner Wanne, kaut an seinen Sushi, diesem zarten Fisch, leicht salzig, und eine Ahnung steigt in ihm auf, ein Rauschen, anflutend, weites Weiß, und ein dunkler Sog, dass seine Flügel wie wild zu flattern beginnen und das Wasser in der Wanne überfließt.

Was danach geschah, ist mir verborgen geblieben. Der Schleier des Geheimnisses ist über den Rest der Geschichte gebreitet. Als ich ihn am nächsten Morgen besuchen wollte, war mein Pinguin nicht mehr da. Er hat mir keine Nachricht hinterlassen. Die Badewanne war noch voll, das Wasser schmeckte seltsam salzig (wie ich es sonst nur von meinen Tränen kenne), Fischgeruch lag in der Luft. Auf dem Küchentisch fand ich ein Geo-Heft.

Ich war traurig und habe mich vor den Fernseher gesetzt. Da gab es eine Dokumentation über das Leben in der Antarktis. Eisbären und Robben wurden gezeigt, und Pinguine: wie sie bäuchlings übers Eis rutschen, wie sie, wenn sie fischen, unter Wasser fliegen und wie sie, wenn die Eisberge mit Getöse ins Meer brechen, ein wenig erschauern.

© N.S. 2005

 

Der Virustest

Das Virus stellt uns alle auf die Probe: Wir können uns selbst zusehen, wie es mit uns Schlitten fährt und schon erledigt geglaubte Dramen zur Wiederaufführung vorschlägt. Vielleicht kommen dir ja ein paar davon bekannt vor:

Das Gefühl, immer zu kurz zu kommen?
Sich grundsätzlich gegen Vorgaben von außen wehren zu müssen?
Dass andere mir übel wollen und ich mich dringend schützen muss?
Dass ich für mich allein kämpfen muss, denn auf die anderen ist kein Verlass?
Dass da nichts ist, was Halt gibt und Sinn macht?
Dass die anderen doch eigentlich auf mich Rücksicht nehmen sollten?
Dass das alles eh’ nichts nützt und es keine Wahrheit gibt?
Dass die Welt voller böser Mächte steckt und überall Gefahren lauern?

So viele Ängste. So viele Glaubenssätze. So viel gute, wichtige Energie, die in solchen Dramen versickert – dabei könnten wir sie dringend für Wichtigeres gebrauchen!

Wir erinnern uns: Wofür war Tantra nochmal gut -?
Richtig: Für ein Leben frei von (neurotischer) Angst.

Um frei von Angst leben zu können, braucht es einen hohen Grad an Klarheit, Freundlichkeit und Bewusstheit – und die sind in verwirrenden, ermüdenden Zeiten nicht leicht zu halten, sofern wir nicht ausreichend Energie dafür haben. Wenn wir die vorhandene Energie aber in Verwirrung, Verzweiflung, Aufeinander-Herumhacken und das Füttern unseres Egos investieren, bleibt für die konstruktiven Qualitäten nicht genug übrig, und wir versinken leicht in Depression, Zank und Rechthaberei.

Natürlich ist die Lage angespannt. Selbstverständlich steht viel auf dem Spiel. Ja, wir alle sind erschöpft, zerzaust, halb aufgedröselt. Ganz viele haben inzwischen das Gefühl, sie können nicht mehr.

Und dennoch: Wir sind in der Zielgeraden, Leute.
Habt Vertrauen und haltet noch ein bissl durch!
Buttert eure Energie in Zuversicht, Miteinander, gegenseitige Unterstützung, kreative Lösungen (nein, das bedeutet nicht “Ich finde ein Schlupfloch in den Maßnahmen”) und ja, in Disziplin – eine der höchsten tantrischen Qualitäten!

Lasst uns noch nicht der großen Verlockung erliegen, endlich, endlich wieder zusammen zu sein: Schon richtig, in Privaträumen wird nicht kontrolliert. Aber angesteckt schon, sofern wir uns nicht an die wissenschaftlich abgesicherten Vorgaben halten (testen/impfen, Abstand, Atemschutz).

Und jedes solche Treffen (“Ach, das muss jetzt einfach sein, pfeif auf die Maßnahmen, uns passiert schon nichts”) macht es anderen, die sich mühsam und unter großem Verzicht an die Vorgaben halten wollen, damit es uns nämlich allen möglichst bald möglichst gut geht, das Leben deutlich bitterer: Wenn viele bei Rot über die Kreuzung gehen, fühlt man sich als einsamer Trottel, wenn man auf Grün wartet, obwohl man damit den Kindern ein lebensrettendes Beispiel gibt.
Das rüttelt an der Entschlossenheit, das Richtige zu tun, und lässt Ärger, Vorwürfe und das Ego selbst der Tapfersten wuchern.

Der Versuchung nicht nachzugeben bedeutet aber nicht, dass man sich verstockt im Eck versumpfen lässt: Die gegenwärtige Situation, vom Virus losgetreten, schreit förmlich nach einer erwachsenen Lösung. 
Wie die geht?
Die geht ungefähr so: Was immer mir begegnet, egal wie widrig die Umstände sein mögen – ich richte mich darin häuslich ein und gestalte sie mir so angenehm wie möglich. Nicht auf Kosten anderer, sondern zum gemeinsamen Nutzen.
Ich öffne mich den Stunden, die ich allein mit mir bin, und bringe im Idealfall den Mut auf, ungeschönt aber freundlich auf mich selbst zu blicken, mit all meinen Ängsten, Träumen, Sehnsüchten und Ticks, statt vor mir selbst davonzulaufen und mich mit Fernsehen, Essen, Trinken oder endlosem Scrollen zu betäuben. 
Ich nutze diese Zeit, um Dinge abzuschließen, was schon ewig darauf warten, und zu denen ich im Vollbetrieb des Alltags ohnehin nie komme: dieses Bastelprojekt, oder mit meinem Kind eine Geschichte schreiben, oder meine Patientenverfügung aufsetzen, oder mich bei diesem einen alten Freund entschuldigen, oder endlich den Kleiderschrank ausräumen.
Ich bleibe beherzt mitten im Strom des Lebens, neugierig und aufmerksam, und öffne neue Türen: Wie wär’s mit einem neuen Hobby? Oder einer Ausbildung? Oder dem Einsatz meiner Zeit + Energie für einen guten Zweck? Und vielleicht ist Zoom ja gar nicht so vertechnisiert und gefühlsfern?
Vor allem aber: Ich haushalte gut mit meiner Energie, achte auf Schlaf, Ernährung und Bewegung (klingt abgedroschen – ist aber deswegen nicht weniger wahr), pflege aktiv (!) meine Beziehungen und bin ein Beitrag fürs Große Ganze, so gut es mir im Moment möglich ist. 

Statt uns selbst zu bedauern, aufzugeben und/oder nach persönlichen Vorteilen zu haschen, lasst uns also lieber gemeinsam den Virustest bestehen!

Die gute Nachricht ist nämlich: Nichts wird bleiben, wie es ist.
Und während diese Wahrheit oft einen bedrohlichen Beigeschmack hat, hat sie doch in Pandemiezeiten etwas ungemein Tröstliches: Auch diese Zeiten werden vorbeigehen. Versprochen.
Wir werden wieder zusammenkommen, uns umarmen, kuscheln, lachen, stundenlang plaudern, ausgelassen tanzen, uns innig austauschen, Wärme und Nähe spüren.
Das kommt alles, sobald wir den Test bestanden haben.
Bald.
Die guten Dinge biegen förmlich schon um die Ecke!

Und sie kommen umso schneller, je mehr wir jetzt alle zusammenhalten und an einem Strang ziehen.

© Helena Krivan 2021

 

Tantra & Corona?

Tantra und Corona – wie geht sich das aus?

// Dieser Blogeintrag ist vom Sept. 2020, und einiges ist inzwischen natürlich überholt. Die jeweils aktuellen Rahmenbedingungen für verantwortungsvoll geleitete Seminare findest du >>HIER.//

“Ich melde mich vom Seminar ab – ich kann mir absolut nicht vorstellen, wie ein Tantra-Seminar während Corona sinnvoll ablaufen soll.”
Diese und ähnliche Mails haben wir im Lauf des Frühjahrs mehrfach bekommen, und vereinzelt kommen sie jetzt noch.

Die weitaus größere Anzahl unserer Teilnehmer*innen aber – darunter auch viele Neueinsteiger – haben darauf vertraut, dass es mit Umsicht, Feingefühl, Organisationstalent und klarer, freundlicher Kommunikation doch wohl möglich sein sollte, eine brauchbare Seminarerfahrung auf die Füße zu stellen. Und sie wurden nicht enttäuscht!

Das war und ist manchmal durchaus ein Spagat. Die individuellen Bedürfnisse und die Einschätzung des Covid-Risikos gehen innerhalb nur einer Gruppe oft recht weit auseinander; uns ist es aber ein Anliegen, dass sich alle wohlfühlen – und dabei bestmöglich risikofrei sind.
Was genau tun wir also, damit unsere Teilnehmer*innen einerseits auf der sicheren Seite bleiben, während sie Erfahrungen von Nähe, Vertrautheit und Stille ebenso wie solche von Ausgelassenheit, Herausforderung und Lebensfreude machen?

  • Wir halten uns sehr genau auf dem Laufenden über den Stand der wissenschaftlichen Forschung und setzen, was Sinn macht, möglichst direkt um. So sind wir uns einig, dass Übertragung vor allem durch Aerosole ermöglicht wird, nur in extrem seltenen Fällen jedoch durch Berühren von Flächen.
  • Wir halten uns an die jeweils aktuell geltenden Regierungsmaßnahmen (Ampel & Co.) und üben so unsere Flexibilität :-).
  • Wir verlangen keine Corona-Tests von unseren Teilnehmer*innen, da diese nur eine Momentaufnahme repräsentieren und die jeweilige Person sich auch nach dem Test angesteckt haben könnte, ohne es zu wissen und ohne Symptome zu zeigen; auch könnte ein negativer Test in der Folge zu weniger sorgfältiger Beachtung der Maßnahmen führen und eben dadurch einen Cluster begünstigen.
    Sobald es zuverlässige, einfach handhabbare und leistbare Schnelltests gibt, werden wir ihren Einsatz vor Beginn eines Seminars in Erwägung ziehen. 
  • Da solche derzeit noch nicht zur Verfügung stehen, helfen wir unseren Teilnehmer*innen schon im Vorfeld, Achtsamkeit zu entwickeln, indem sie zeitgerecht vor ihrem Seminar einen Fragebogen zur Einschätzung ihres persönlichen Covid-Risikos erhalten. Wenn sich jemand mit einer Antwort nicht sicher ist, stehen wir mit Rat und Tat zur Verfügung. Diese Fragebögen halten wir nach dem Seminar einen Monat lang in Evidenz. 
  • Zur Vorbereitung gehört auch der besonders bewusste Umgang mit potenziell riskanten Situationen in den 14 Tagen vor einem Seminar (Besuche in Krankenhäusern, Atemschutz in öffentlichen Verkehrsmitteln etc.).
  • Am Seminar selbst wird jedem und jeder (natürlich auch der Leitung) täglich berührungsfrei die Temperatur abgenommen, sodass auf Veränderungen sofort reagiert werden kann.
  • Gründliches und häufiges Händewaschen gehört zu den Hygienebasics und ist unter den aktuellen Umständen besonders wichtig: da das Corona-Virus von einer Fettschicht umgeben ist, wird es durch einfachen Seifengebrauch nachhaltig zerstört.
  • Für Zwischendurch verwenden unsere Teilnehmer*innen ihre persönliche Handdesinfektion, wo es angebracht ist oder gewünscht wird.
  • Abstand halten: Bei Tantra-Seminaren klebt man bekanntlich keineswegs pausenlos aufeinander. Es gibt zahlreiche Situationen und Übungen, wo Abstand halten ganz einfach geht und die Selbsterfahrung in keiner Weise schmälert. Unsere Aufgabe als Leitung ist es, diese Gelegenheiten optimal zum Schutz der Gruppe zu nutzen.
  • Gründliches und regelmäßiges Lüften ist eine weitere Maßnahme, um die Aerosol-Belastung in geschlossenen Räumen niedrig zu halten – exakt das Ziel all dieser Corona-Vorkehrungen und -Regeln.
  • Das Herzstück der sinnvollen Maßnahmen: Der Atemschutz! (Wir verwenden den Begriff Maske nicht gerne, da wir ja mit unserer Arbeit darauf abzielen, unsere vielen “Masken” im Gegenteil immer mehr abzunehmen – deshalb sprechen wir lieber von Atemschutz, was die Funktion dieses praktischen Hilfsmittels ja auch viel treffender beschreibt).
    Der Atemschutz – dies sei nur der Vollständigkeit halber hier erwähnt, da es inzwischen Allgemeinwissen ist – dient nicht dem eigenen Schutz, sondern dem Schutz meines Gegenübers. Indem ich also einen aufsetze, signalisiere ich den anderen, dass sie mir wichtig sind und dass ich für sie bereit bin, zeitweise auf ein Stückchen meiner eigenen Bequemlichkeit zu verzichten – eine Charakterqualität, die deutlich in Richtung Tantra weist.
    Wir empfehlen die Verwendung von zwei bis drei Einwegmasken pro Tag. Das macht uns nicht ganz glücklich, denn es ist nicht im Sinne der Müllvermeidung, jedoch ist das tägliche Waschen und Trocknen eines Atemschutzes aus Stoff während eines Seminars weder praktisch noch sehr realistisch. Atemschutz aus Stoff (etwa deine Lieblingsmaske oder die mit der du dich besonders schick fühlst) kann gerne in den Pausen verwendet werden.
    Die Frage “Wann soll ich den Atemschutz jetzt eigentlich aufsetzen?” ist grundsätzlich* einfach beantwortet: Sofern du so nahe bei jemandem bist, dass du ihn/sie berühren könntest, setzen beide ihren Atemschutz auf. Das gilt natürlich nicht für Paare, die in einem gemeinsamen Haushalt leben. 
    Es hat uns selbst erstaunt, wie leicht man sich daran gewöhnt, und mit wie viel entspannter Heiterkeit dieses kleine Ritual der Annäherung inzwischen vollzogen wird – sei es beim Tanzen, beim Gespräch oder beim Kuscheln.
    Der Atemschutz birgt durchaus die eine oder andere Herausforderung: Er bringt einen dazu, genauer hinzuschauen, das Mienenspiel und die Augensprache präziser wahrzunehmen, und auch klarer zu sprechen und deutlicher zu artikulieren, da ja die Lippenbewegungen nicht sichtbar sind – lauter Fähigkeiten, die in der Alltagskommunikation auch ohne Atemschutz wertvolle Dienste leisten.
    Man kann, wie manche berichten, noch einen weiteren faszinierenden Effekt entdecken: Nach einigen Tagen wird das Stück Stoff im Gesicht der anderen nicht mehr wahrgenommen – das Gehirn “ergänzt” das Gesicht des Gegenübers und der Atemschutz wird beinahe schon unsichtbar.
  • So gestalten wir gemeinsam ein Umfeld, in dem man aufeinander schaut und sich aufeinander verlassen kann und jede/ jeder nach eigenem Gefühl gut für sich sorgt.
    Wir vom Institut Namasté verlassen wir uns wiederum darauf, dass unsere Teilnehmer*innen während des Seminars (also auch in den Pausen) verantwortungsvoll handeln und nach dem Seminar allfällige Symptome umgehend an uns zurückgemeldet werden, damit wir gegebenenfalls die entsprechenden Schritte einleiten können.

Das klingt nach viel, und umständlich, und dauernd-dran-Denken?
Das haben wir auch gedacht.
Tatsächlich haben sich alle diese Elemente als überraschend einfach, spielerisch und harmonisch ineinanderfließend herausgestellt.

Wir haben auf diese Weise bisher acht Seminare und etliche Übungsabende abgehalten, und das Feedback unserer Teilnehmer*innen ist überwältigend positiv:

“Toll, dass ihr solche Sorgfalt im Hinblick auf die Corona-Regeln walten lasst. Das erzeugt Vertrauen.”

“Zuerst habe ich ein bisschen gemault und dachte, dass das Ding voll störend sein wird – und dann, am dritten Tag, wollte ich mir den Atemschutz aufsetzen und habe verblüfft bemerkt, dass ich ihn schon auf habe!”

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* Seit September 2020 steigt die Zahl der Erkrankten in Österreich wieder, sodass in geschlossenen Räumen durchgehend Atemschutz angesagt ist. Wir verfolgen die aktuelle Lage äußerst genau und passen die Regeln für jede Gruppe neu an – so locker wie möglich, so sicher wie nötig.)

 

Und hier noch ein paar nützliche Links, denn wer sachlich informiert ist, kann den Stress im Umfeld verringern helfen.

Wie Atemschutz (MNS) wirkt: Das hätten wir nicht gedacht! (Englisch, aber unterhaltsam)
Wie ist das mit der Exponentialkurve? (Klingt kompliziert, ist aber sehr erhellend)
Atemschutz schützt nicht nur den Träger/die Trägerin (Englisch, wissenschaftliche Studie)

© Helena Krivan 2020

 

Tantra Quacksprech

Auf dem Marktplatz der Meinungen tummelt sich vielerlei – manches wirst du als richtig empfinden, anderes als fragwürdig, einiges als glatten Unsinn.
Unsinn zu reden ist das Privileg von uns Menschen (Tiere halten sich mit sowas nicht auf): “Ich rede Unsinn, also bin ich Mensch”, schrieb Dostojewski. Das klingt nachvollziehbar; doch ist Unsinn reden auch tantrisch?

Da begegnet man etwa in den sozialen Medien der Behauptung, man dürfe alles sagen – inklusive krause Verschwörungstheorien vertreten, etwa dass die Erde eine Scheibe sei -, mit Argumenten wie “Für mich darf jeder seine Wahrheit über Politik, Geld, Außerirdische, usw. haben. Das ist Meinungsfreiheit, und wie wir im Tantra gelernt haben, sind alle Gegebenheiten rein.“

Ex falso quodlibet, entgegnet der Logiker: Wenn von falschen Grundannahmen ausgegangen wird, kann man sich das Resultat dann zurechtzimmern, wie man möchte. Hier werden also Äpfel mit Birnen wild durcheinandergemischt und gleich zwei grobe Missverständnisse miteinander vermengt. Was herauskommt ist – Unsinn.

Schauen wir uns die Aussage genauer an: “Für mich darf jeder seine Wahrheit über Politik, Geld, Außerirdische, usw. haben. Das ist Meinungsfreiheit.” Bis dahin kann man dem Satz leicht zustimmen: Wir leben schließlich in einer Demokratie, und jedeR hat ein Recht auf eine eigene Meinung.

Allerdings – und das wäre besonders heute wichtig zu unterscheiden, wo die Corona-Experten nur so vom Himmel prasseln -, ist eine Meinung nicht mit Tatsachen zu verwechseln: Ich kann durchaus der Meinung sein, dass 2 plus 2 fünf sei. Ich darf diese Meinung öffentlich vertreten, von mir aus eine Partei dazu gründen und, wenn’s sein muss, auch Wahlen damit gewinnen.
Nur, stimmen wird es deshalb noch immer nicht.
Um uns im Dickicht der selbsternannten Experten-Tweets und Posts nicht allzu weit vom Hausverstand zu entfernen, wären Meinungen von Fakten fein zu unterscheiden. Wenn wir klug sind, greifen wir bei unserer Suche nach der Wahrheit auf Portale zu, die sich nicht mit der Verbreitung von Angst, Drama und Skandal befassen, sondern mit dem Auseinanderdröseln von Fact & Fiction.
Das ist das eine Missverständnis.

Das andere ist weit entschuldbarer, denn Tantra, seine Grundlagen und seine Ziele sind leicht misszuverstehen, wenn man sich nicht ernsthaft, lange und anhand zuverlässiger Quellen damit beschäftigt.
Schon richtig: Laut Tantra sind alle Gegebenheiten rein. Dies ist eine der Kernaussagen des Tantra.
Aber was bedeutet das? Wenn ich diese tiefgründige und folgenreiche Aussage leichtfertig für meine ganz persönlichen Zwecke gebrauche, mache ich damit deutlich, dass mein Verständnis nicht sehr tief reicht. Es wäre so als ob ich zu einer neuen Bekanntschaft sage “Ah, du interessierst dich für Spiritualität? Na dann gemma doch einen trinken!”
Diesen Satz, Alle Phänomene sind rein, ohne vorangehende tiefe Einsicht anzuwenden ist nutzlos, und tantrische Meister*innen würden sagen gefährlich. Statt vom aufgeplusterten Ego wegzuführen, was sein eigentliches Ziel wäre, bläht er es umso mehr auf: Wir fühlen uns wissend, besser (“tantrischer”) als andere, über den Regeln stehend. Ohne wirkliche Einsicht, die nicht geschenkt wird sondern mit ziemlichem Aufwand errungen werden will, ist die Aussage allein ziemlich absurd: So als würden wir triumphierend verkünden dass, weil ja E = mc2 ist, in meinem kleinen Finger mehr Energie steckt als zum Betreiben aller Haushalte dieser Welt nötig wäre.
Ja, und?
Das mag schon stimmen, aber was bringt es?  Wie kannst du diese Energie konkret nutzbar machen, jenseits vollmundiger Behauptungen? Die beste Theorie ist wenig wert, wenn die Praxis am Wegesrand verkümmert.

Alle Phänomene sind rein bezieht sich darauf, dass ich mich als Tantriker*in darin übe, nicht zu urteilen, dh. alles, was mir begegnet, gleichermaßen willkommen zu heißen – egal ob ich im Lotto gewinne oder mein Kind gerade mit der Rettung ins Krankenhaus gefahren wird. (Daran merkt man schon, wie schwierig diese hohe Übung ist – nichts für Einsteiger, die zumeist keine andere Wahl haben als sie misszuverstehen).
Nicht zu urteilen, nicht in besser und schlechter einzuteilen oder in möchte ich/möchte ich nicht: Das ist etwas anderes als links nicht von rechts und rot nicht von grün unterscheiden zu können.
Unterscheiden, ja. Urteilen, nein.
Das ist das zweite Missverständnis.

Um sich in unserer verwirrenden, manchmal beängstigenden, oft verführerischen Welt zu orientieren, hilft es neben schnittigen neuen, auch Jahrtausende alte und entsprechend bewährte Kompasse heranzuziehen. Zum Beispiel solche aus dem Buddhistischen Tantra, wo es über weite Strecken um Ethik, Freundlichkeit und das Loslassen der Ich-Anhaftung geht. Diese Hilfsmittel wirst du übrigens in allen unseren Seminaren wiederfinden, unabhängig vom Level.
Hier ein Hinweisschild, das ich mir selbst gerne hinstelle um leichter festzustellen, ob ich mich in Unsinn zu verlaufen drohe: Solange ich noch Eigeninteresse in meinen Gedanken, Aussagen oder Handlungen entdecke, und sei es noch so hauchzart, kann ich davon ausgehen, dass ich noch nicht auf der Ebene des “Alle Gegebenheiten sind rein” angekommen bin.

© Helena Krivan, 2020

Die Falle

Also bei den meisten unserer Teilnehmer*innen läuft es so: Es kommt ein Moment im Leben, wo man meint, jetzt müsse sich dringend was ändern. Man schaut sich um, probiert einiges, sucht weiter, filtert zunehmend geschickter und landet dann irgendwann bei Tantra.

Da tun sich für viele dann völlig neue Türen auf: Achtsamkeit ist plötzlich kein esoterischer Begriff mehr, Selbst-Bewusstsein bekommt eine neue Dimension, Geduld mit sich und anderen wird möglich, Lebensfreude und Humor kehren zurück, Uralt-Probleme lösen sich auf oder werden gut handlebar. Oft gibt es erfreuliche Veränderungen im Freundeskreis, und manchmal findet man auch eine neue Liebe.

So weit, so gut; doch genau hier kommen viele an eine Wegkreuzung, oft ohne es zu wissen. Während es in der einen Richtung weitergeht zu vertiefter Innenschau und höherer Einsicht, geht es in der anderen Richtung zu vertieften Egoblähungen und höherer Nabelschau. Das Fatale daran: Man merkt ganz lange nicht, dass man irgendwo falsch abgebogen ist, und meint im Gegenteil, ganz besonders “tantrisch unterwegs” zu sein.
Einerseits wird romantisches Träumen (“er ist die Liebe meines Lebens”, “du und ich, auf ewiglich”) mit der überpersönlichen, umfassenden, bedingungslosen Liebe (“Ich schenke meinem Gegenüber, wer immer es auch ist, Achtsamkeit und aufrichtige Präsenz”) verwechselt; andererseits wird auf dem Altar der vermeintlich bereits erlangten Egolosigkeit gerne der gesunde Hausverstand geopfert. In Folge wird noch so manches andere unheilvoll verwechselt und freudig unter der Überschrift “Tantra” aufgezählt:
Liebe wird gerne mit Verliebtheit verwechselt
Unverbindlichkeit mit Befreiung
Bindungsunfähigkeit mit umfassender Liebesfähigkeit
Ichbezogenheit mit Bewusstheit
Nabelschau mit Innenschau
unnötiges Leiden mit Tapferkeit
Selbstgerechtigkeit mit Gerechtigkeit
Energie mit Erleuchtung
offenkundige Übergriffe mit notwendigen Lernaufgaben
Hirnwichsen mit Erkenntnis
Angeberei mit Meisterschaft – um nur einige zu nennen.

Wenn du schon in der Falle sitzt, wird dir dieser Text möglicherweise wenig helfen: Es braucht viel Übung in unbarmherziger Selbsterkenntnis um sich einzugestehen, dass man möglicherweise irgendwo falsch abgebogen ist.
Wenn du aber noch an deiner Kreuzung stehst und anderen zuschaust, wie und mit welchem Resultat sie ihre Richtung wählen, dann können die folgenden knappen Definitionen vielleicht nützlich sein. Sie sind notwendigerweise nur Ausschnitte des Ganzen und lediglich als erweiterte Überschriften zu verstehen – jede würde ein eigenes Essay verdienen.

Du weißt, dass du verliebt bist, wenn die Welt nur dann Sinn macht, wenn der/die Liebste da ist und dich wiederliebt.
Du weißt dass du jemanden tatsächlich liebst, wenn ihr den ganz normalen Alltag teilt, Rechnungen zahlt, die immer deutlicher hervortretenden Macken gegenseitig toleriert, einander dabei nicht umbringt – und das mehrere Jahre lang.

Befreiung bedeutet niemals Unverbindlichkeit, also zB. sich aus einer Verantwortung davonzustehlen (etwa Kindern oder Geldgebern gegenüber). Befreiung bedeutet, dich deiner Zwänge, engen Sichtweisen, eingefahrenen Muster, deiner Vorurteile und auch deiner irrationalen Ängste zu entledigen.

Nur weil ich mich nicht auf eineN Beziehungspartner*in festlege, heißt das noch nicht dass ich Meister*in der Polyamorie bin – es kann auch einfach bedeuten, dass ich mir meine Beziehungsängste noch nicht ausreichend angeschaut habe und meiner Umgebung meine Bindungsunfähigkeit als “umfassende Liebesfähigkeit” verkaufe.

Falls du anderen laufend und ungefragt Einblicke ins eigene Innenleben aufdrängst – und sei es in noch so wohlklingenden, einfühlsamen, von psychologischen oder tantrischen Termini durchsetzten Worten – kann es gut sein dass nicht makelloses Bewusstsein aus dir strahlt, sondern du schlicht ein nervensägender Egoist bist.

Innenschau ist, wenn ich mir möglichst emotionsfrei bewusst mache, was gerade in mir vorgeht, wie es mit dem Außen in Bezug steht und wie ich bestmöglich – für mich und andere – damit umgehen kann.
Nabelschau ist, wenn sich diese Erkenntnisse unaufhörlich um mich selbst drehen und das Außen dieser selbstbezogenen Betrachtung im Spiegel untergeordnet ist.
Es gibt auch Nabelschau-Paare: Sie sind so ausschließlich aufeinander bezogen und mit ihren unglaublichen, unaussprechlichen, von keinem anderen Menschen bisher so erlebten Erfahrungen beschäftigt, dass ihre Einsichten und Erkenntnisse kein Beitrag für die Welt sind.

Tapferkeit ist, wenn ich ungewöhnlichen Mut aufbringe, also etwa meiner größten Angst ins Auge blicke und trotz meiner Panik mit möglichst klarem Geist durch die beängstigende Situation durchgehe.
Unnötiges Leiden ist, wenn ich jemandem mit meinem Mut etwas beweisen möchte und/ oder die Situation auch eine andere, schlichtere Lösung zuließe (die sich halt aber dann nicht so gut herzeigen lässt).

Selbstgerechtigkeit regt sich – lautstark oder auch nur innerlich – darüber auf, dass andere nicht die Regeln einhalten (obwohl man es selbst auch nicht mit allen Regeln immer ganz so genau nimmt).
Gerechtigkeit dagegen bemüht sich, Entscheidungen bestmöglich und nicht mit dem eigenen Interesse ganz oben auf der Liste zu treffen.

Nur weil es in deinem Körper fallweise mal kribbelt oder rauf und runter strömt, du Eingebungen hast, Gefühle ekstatischen Glücks kennst und andere dabei vielleicht sogar auch ein Stück mitnehmen kannst, heißt es noch nicht, dass die Erleuchtung schon ums Eck biegt. Sorry – das sind zwar ausgesprochen nette Energiespiele, aber eben nicht mehr als das.

Wenn jemand regelmäßig deine Pflanzen verdursten lässt, dich belügt oder vor anderen niedermacht, auf deine Kosten lebt und/oder dabei im Rausch dich und deine Kinder bedroht, so ist das kein erleuchteter Guru, der dir hilft, dein Karma abzubauen, indem er dich schwer, aber weise prüft.
Deine Lernaufgabe ist in diesem Fall nicht, auszuharren bis er sie für bestanden erklärt und sich wieder in den gütigen, liebevollen Partner verwandelt, in den du dich verliebt hast – deine Lernaufgabe ist es, Übergriffe klar als solche zu erkennen und entsprechend zu deinem eigenen und zum Schutz deiner Kinder zu handeln.

Nachdenken und eine klare Sicht auf die Dinge erlangen zu wollen ist gut, denn es kann zu Erkenntnis führen.
Alles hundertfach zu hinterfragen und so lange im Kreis zu zerdenken bis nichts mehr übrigbleibt was Sinn macht führt hingegen nicht zu Erkenntnis, sondern gehört in den Bereich des sterilen “Hirnwichsens“.

Wenn du einiges gelernt und vielleicht sogar gemeistert hast, dann zeigt sich dein Fortschritt nicht in Angeberei oder indem du gegenüber anderen deine neu gewonnene “Freiheit” heraushängen lässt: Meisterschaft zeigt sich in Zurückhaltung, Bescheidenheit und unaufdringlicher Hilfsbereitschaft.

Wie soll man nun um diese zahllosen und leicht zu verwechselnden Fallen herumnavigieren? Woher sollen wir wissen, was was ist – und wie lernen wir sinnvoll und zuverlässig zu unterscheiden?
Was hilft, ist allein Übung.
Durch Übung erkennt man wiederkehrende Fallstricke, aber auch wiederkehrende zuverlässige Wegweiser. Es ist hilfreich, in einer Gruppe Gleichgesinnter zu üben – so wie es hilfreich ist, in einer Seilschaft auf einen Berg zu klettern.

In den vielen verschiedenen Seminaren die das Institut Namasté seit 1996 anbietet, wird Raum für genau diese Übung im Erkennen geschaffen: Wo sind die Fallstricke, woran erkenne ich einen zuverlässigen Wegweiser – und wie finde ich eine Seilschaft, die mich auf meinem ganz persönlichen Werdegang unterstützt.

Die Sache mit den Leveln

Wer beim Institut Namasté den atemberaubenden, herzerfrischenden, sinnlichen und sinnhaften Weg des Tantra betreten möchte, hat es schwer… und leicht.

Schwer, weil sich einem eine solche Fülle an Veranstaltungen bietet, dass man schier das Handtuch werfen möchte; leicht, weil es zum Glück das System der Level gibt! Dieses System hilft bei der Orientierung, leitet potenzielle Teilnehmer*innen von der ersten Annäherung bis zum fortgeschrittenen Aufbautraining und hilft bei der Auswahl der optimal zur persönlichen Situation passenden Zusatz-Seminare. So kannst du dir dein maßgeschneidertes Tantra-Menü zusammenstellen, von “Ach ich koste erstmal ein bisschen” bis zu “Ja, mir bitte das zehngängige, und ein doppeltes Dessert bitte gleich dazu!”

Alle unsere Seminare haben einen Level-Code, zB. 0/3. Die Null sagt, dass du keinerlei Vorerfahrung dafür brauchst; hast du das Seminar absolviert, landest du auf Erfahrungslevel 3. Entsprechend hieße etwa der Code 4/4 dass du Level 4 brauchst, um das Seminar buchen zu können, doch es erhöht deinen Erfahrungslevel nicht.

Wenn du noch nie irgendetwas mit Tantra gemacht hast, beginnst du am besten auf Erfahrungslevel L0. Dort wartet eine Fülle an Möglichkeiten auf dich: Du kannst den Schnuppertag buchen, oder dir eines der mehrtägigen Einführungsseminare anschauen wie Tantra Oxygen, Fit for Love oder Sinnesfreuden. Ebenso kannst du aber bei elementaren Dingen anfangen, wie einer reinen Männergruppe oder einem unserer drei Seminare speziell für Frauen. Oder du gehst es methodisch an und beginnst deinen Weg zu dir selbst, indem du schon mal vorsorglich in deinem Familiensystem etwas Ordnung schaffst. (Das macht sich später bezahlt, ganz gleich, ob du auf dem tantrischen Pfad bleibst oder nicht.)

Je nachdem wie lang und/ oder anspruchsvoll dein erstes Seminar ist, erreichst du damit Erfahrungslevel L1, L2 oder L3.
Von jedem dieser Level ist der nächste logische Schritt jener zum Basisseminar Atem, Energie & Co., das nicht zufällig Basisseminar heißt: Hier werden die grundlegenden tantrischen Basics vermittelt, wobei es schon intensiver und prozessorientierter zugeht als auf Level 3.
Hast du nach deinem Basisseminar dann L4 erreicht, öffnen sich wie von Zauberhand ganz neue Türen: Jetzt kannst du zum begehrten Jahreswechselseminar Herzenslust, oder auch zum subtilen Berühren & Verführen – doch vor allem: Jetzt hast du die Eintrittskarte für den Großen Bogen!

So kommst du Schritt für Schritt sicher voran, denn die einzelnen Schritte bauen logisch und wohldurchdacht aufeinander auf: Es ist uns ein Anliegen, dass unsere Teilnehmer*innen sich jederzeit zuverlässig gefördert, aber auch angenehm gefordert fühlen!.

Bleiben Level für immer gültig?

Ein L1 wird dir erhalten bleiben, außer du bleibst viele Jahre lang weg; in den allermeisten Fällen wirst du auch einen L4 behalten können.
Je höher hinauf es jedoch geht, desto größer werden die Anforderungen, die die jeweilige Gruppe an dich stellt, und das auf allen Ebenen: Körperlich (hältst du zB. längere Meditationen durch, ohne dass dir das Kreuz abfällt oder die Knie revoltieren?), geistig (wie gut kannst du mit Frustration, enttäuschten Erwartungen, deinem Inneren Beobachter umgehen? Erkennst du deinen Schatten, und wie weit kannst du ihn transformieren?) und nicht zuletzt emotional: Kannst du nicht nur weise Worte von dir geben, sondern hast tatsächlich integriert, dass du selbst für dein Wohlergehen und den Umgang mit deinen Emotionen zuständig bist? Bist du ein inspirierendes Beispiel für andere, oder sind die anderen nach wie vor “Schuld”, wenn es mal nicht so läuft wie du es willst?

Um diese Anforderungen zu erfüllen, ist ein Dranbleiben erforderlich – so wie eine Pilotin ihren Schein verliert, wenn sie nicht regelmäßig absolvierte Flugstunden vorweisen kann. Mit nur einem Seminar in 18 Monaten ist dieses Kriterium schon abgedeckt!
Viele unserer Teilnehmer*innen buchen Seminare bei anderen Veranstalter*innen: Das ist ausgezeichnet, und wir fördern diese wichtige Gegenbewegung zum eindimensionalen Tunnelblick! Doch können die Erfahrungen in anderen Schulen leider nicht als “Dranbleiben” im Sinne der Level-Erhaltung beim Institut Namasté angerechnet werden: Wenn du eine Piper fliegst, ist das großartig und erweitert deinen Horizont, doch wenn du bei uns wieder in eine Cessna steigen möchtest, brauchen wir deinen Nachweis von Cessna-Flugstunden :-).

Kann ich meinen Level verlieren?

Ja, das kommt vor!
Wenn du zB. lange keine Seminare auf dem einmal erreichten Level besuchst und auch keine entsprechenden Übungsabende, dann wird dein Erfahrungslevel allmählich über die Jahre sinken – so wie eine Pflanze welkt, wenn ihr immer weniger Wasser gegeben wird.
Warum?
In deinem eigenen Interesse, und im Interesse der Gruppe, deren Teil du dann wärst: Weder du noch die Gruppe hätten eine Freude, wenn du nach Jahren der Absenz, nach vielen Veränderungen in deiner Weltsicht, im persönlichen, beruflichen und sonstigen Umfeld, unmittelbar wieder auf einem anspruchsvollen tantrischen Level einsteigen würdest. Du kannst aber in kurzer Zeit deinen ehemaligen Level wieder aufbauen – wir helfen dir gerne dabei!

Prompte Korrekturen des Erfahrungslevels nach unten gibt es sehr selten, aber es gibt sie. Sie können zB. erfolgen, wenn jemand im Seminar sich und/ oder andere gefährdet, mit den Seminarregeln klar überfordert ist oder – auf den hohen Levelstufen – langfristig ein Verhalten zeigt, das mit dieser Erfahrungsstufe nicht zusammenpasst.

Was wenn ich wirklich schon viel woanders gemacht habe, bevor ich euch gefunden habe?

Wunderbar! Deine bisherigen Erfahrungen sind wichtig und wertvoll, und sie werden dir ein stabiles Fundament für deine nächsten Schritte bieten. Lass uns darüber plaudern was du jetzt gerade brauchst, und gemeinsam einen maßgeschneiderten Plan basteln, mit dem du deine aktuelle Wachstumsphase optimal unterstützen kannst!

“Wo bleibt die Orgie?”

Woran denkst du, wenn du den Begriff “Tantra” hörst?
Wenn du noch keine Tantra-Seminare mit Schwerpunkt auf Selbsterfahrung besucht hast, so wirst du, statistisch gesehen, vermutlich zuerst mal an Sex denken, dann wird dir der Begriff “Tantramassage” einfallen; danach wohl etwas in Richtung “besser, länger, öfter”, “jeder muss dauernd mit jedem, sonst ist man kein ‘Tantriker’ “, oder du erwartest dir doch wenigstens irgendeine Form von Orgie – so ungefähr auf dem Level, wie wir sie auf den Darstellungen der Tempelanlagen von Khajuraho bestaunen.

Eine der zahllosen Szenen der Tempelanlage in Khajuraho, Indien
Eine der zahllosen Szenen der Tempelanlage in Khajuraho, Indien

Wer mit solchen Bildern im Kopf zu einem Tantra-Seminar kommt (wenn er oder sie denn mit solchen Bildern im Kopf überhaupt kommt!), wird je nachdem schwer enttäuscht sein oder erleichtert aufatmen können: Mit Orgien hat das Seminargeschehen so rein gar nichts zu tun!
Du wirst dort hingegen eingeladen zu atmen und verschiedene spannende Atemtechniken auszuprobieren; du hast Gelegenheit, dich spielerisch in eine Katze oder ein Nilpferd zu verwandeln; du begegnest Unbekannten so unmittelbar wie du es aus deinem Alltag nur selten kennst; du erfährst, dass und wie du Einfluss auf deine eigene Energie nehmen kannst.
Das ist für viele eine ganz neue, befreiende Erfahrung; andere hingegen erleben ihre ersten tantrischen Schritte als mühsam und ernüchternd (ja, wo bleibt denn jetzt die Orgie?!).

Hat Tantra eigentlich überhaupt etwas mit Sex zu tun?

Ja, hat es – aber anders als die meisten vermuten.
Sexualität ist im Tantra nicht Selbstzweck, sondern praktisches Mittel mit einem weit höher gesteckten Ziel: Selbsterkenntnis und Befreiung von selbstgerechtem Egoismus.
Tantra hat mit Sex so viel zu tun so wie Räder mit einem Auto: Ein Auto ohne Räder ist nicht funktionstüchtig, doch Räder ohne Auto machen so richtig gar keinen Sinn.

Wenn Tantra-Seminare beim Sex stehenbleiben und nicht darüber hinausgehen, so ist das wie das Versprechen, dich das Fliegen zu lehren – doch dann bringt man dir nur bei, dir Flügel anzuschnallen und fest mit den Armen zu wacheln. Zum Fliegen aber muss man bereit sein, die Erde hinter sich lassen, und Wacheln ist nicht Fliegen.

Im Alltag erleben viele, dass sie sich nach einer Liebesbegegnung nicht gestärkt, innig verbunden und energiegeladen fühlen, sondern das genaue Gegenteil – oft bleibt eine Leere, die wir dann mit Ersatzhandlungen (fernsehen, essen, gamen…) zu füllen versuchen.
Im Tantra gilt Sexualität als heilige, unversiegbare Quelle für Energie.
Damit sie diese Funktion erfüllen kann, brauchen diejenigen, die sich dieser Quelle nähern – wir – , jedoch einen entspannt-natürlichen Zugang zu ihr. Das ist bei den meisten von uns nicht der Fall: Wir sind traumatisiert, neurotisch, egozentrisch, dramafreudig, ängstlich, selbstgerecht und dabei selbstzerstörerisch unterwegs.
Eben darum ist es die Aufgabe vor allem der Einsteigerseminare und des Großen Bogens, Entspannung, Freude, Vertrauen und Aufrichtigkeit wieder wachsen zu lassen.
Jup, das ist Arbeit, und es verlangt Entschlossenheit, Zeit, Energie und Übung. (Sorry, Orgienfreunde!)

Die Resultate dieser Investition in dich selbst sind oft anders als man sie sich ursprünglich ausgemalt hatte.
Ich erinnere mich an ein Paar, das schon viel an sich gearbeitet hatte und sich dann beklagte, dass sie gar nicht mehr “dazu kommen, Tantra zu machen” – sie waren einfach zu beschäftigt, ihre Beziehung wertschätzend zu führen, auf den eigenen emotionalen Haushalt zu schauen, sich der inneren Bewegungen, Ängste, Hoffnungen bewusst zu sein, Flüchtlinge zu betreuen,… und sebstzentriertes Tun, Groll, Hoffnung auf Anerkennung etc. loszulassen.

Das aber wäre eine recht präzise Beschreibung eines in der Wolle gefärbten tantrischen Lebens: Eines wo man selbst gut für sich sorgt, und eben deshalb gerne und in eindrucksvoller Großzügigkeit für andere da sein kann.


© Helena Krivan, 2019

“Ich habe den Himmel gesehen”

Es ist meine erste Gesangsstunde, und ich bin etwas aufgeregt, aber auch ziemlich von mir überzeugt. Schließlich habe ich mein Leben lang gesungen, und das nicht so schlecht. Jetzt möchte ich aber, dass mich dieser Gesangslehrer, nennen wir ihn Richard, in neue Höhen katapultiert. Buchstäblich.
Mein Projektziel: Ich will die Arie von Rusalka singen können, und zwar so, dass meine Mutter, die mit Smetana großgeworden ist, mit Fug und Recht stolz auf mich sein kann.

Wir machen ein paar Aufwärmübungen. Ich bin nicht zufrieden. Die Stimme klingt belegt, sie rutscht mir weg und kickst… das ging schon mal besser! Ich schiele zu Richard. Er lächelt leise; sein Nicken ermutigt mich, weiterzumachen. Er gibt mir einen kleinen Hinweis und führt mich höher. Es klappt! Die Stimme bleibt voll und klingt leuchtend wie noch nie.
Noch höher.
Und noch höher.

DAS geht jetzt aber nicht mehr! – Doch, nickt er: mach weiter.

Irgendwann nimmt er die Hände von den Tasten, grinst mich an und fragt “Reicht dir das fürs erste?”
Ich bin so überwältigt, ich bringe kein Wort heraus. Ich kann ihn nur fassungslos anstarren und ungläubig den Kopf schütteln.

Wie hat er das gemacht? Wie hat er mich in wenigen Minuten auf eine Ebene gebracht, wo ich noch nie war und von der ich nichtmal zu träumen gewagt hätte?
“Kann ich jetzt auf die Bühne?” frage ich halb im Ernst.

Ein Tantraseminar, so wie wir es verstehen, besteht aus einer fein abgestimmten Perlenkette von Übungen, die aufeinander aufbauen, einander verstärken und möglichst vielen möglichst viele Türen öffnen helfen sollen.
Manche dieser Übungen sind weit verbreitet, traditionell und aus zahlreichen Settings bekannt; andere sind Variationen davon oder ehren Querverbindungen zu nicht-tantrischen Traditionen; wiederum andere erfinden wir selbst: Monate im Voraus, oder direkt vor Ort, weil die Gruppe gerade eine spezielle Dynamik hat.

Manche dieser Übungen können einen direkten Einblick geben in eine höhere Ebene der Wirklichkeit, einen Blick ins “wie es sein könnte“: Wie wäre es, wenn ich keine Angst mehr hätte, mich bedingungslos geliebt fühlte, vorurteilsfrei auf andere zugehen könnte, mich als wesentlicher Teil eines viel größeren Ganzen erfahren würde?
Solche Erlebnisse können lebensverändernd wirken, und es ist nicht ungewöhnlich, dass Teilnehmer*innen danach für Stunden einen Glückszustand erfahren, den sie kaum beschreiben können, außer vielleicht mit den Worten “Ich habe den Himmel gesehen…”.

Richards Grinsen wird noch breiter. Dann erklärt er es mir.
“Schau”, sagt er, “ich kann hier fast jede Stimme innerhalb kürzester Zeit in ihrem höchsten Potenzial leuchten lassen. In nur einer Stunde kannst du so weit sein, dass du die Königin der Nacht singst. Aber da ist ein Haken: Es hält nicht. Und es macht, unklug angewendet, die Stimme kaputt.”

Was es braucht, erklärt er weiter, ist ernsthafte, konsequente, geduldige Übung.
Geduld! Und das mir! Also, wie lange wird es dauern, bis die Stimme dieses phantastische Niveau halten kann, frage ich.
Richard wiegt bedächtig seinen Kopf. Ich versuche im Geist zu raten. Drei Monate? Fünf vielleicht?
“Gute drei Jahre”, sagt er.
DREI JAHRE! japse ich.

In einem Tantraseminar ungeahnte Gefühlszustände zu erleben, ist fast schon normal. Doch dieser unbeschreibliche Glückszustand, der sich ab und an nach Übungen einstellt, ist leider vorübergehend. Ich kann dir versichern: Nein, du bist noch nicht dauererleuchtet!
Damit dieser Zustand der tiefen Freude wiederkommt – nicht zufällig, sondern weil du ihn herbeigerufen hast -, damit er nach und nach stabiler und ein natürlicher Teil von dir wird, gilt es zu arbeiten: dranbleiben, üben, hartnäckige Muster knacken, Mut beweisen, Gewahrsein und Achtsamkeit vertiefen, und zwar ernsthaft, konsequent und geduldig.
Wie lang, fragst du?
Nun…
Du wirst gute bis sehr gute Resultate schon viel früher als nach drei Jahren einfahren können, keine Sorge. Wie hoch du steigst, hängt ganz allein von dir und deinem persönlichen Einsatz ab.

Ich bin inzwischen seit elf Jahren bei Richard. Die Rusalka habe ich nach zwei Jahren bei einem Hauskonzert gesungen, und meine Mutter war hin und weg.
Berufsbedingt liegen jetzt oft Monate zwischen meinen Gesangsstunden, doch Richard ist jedes Mal verblüfft, wenn ich komme und aus dem Stand singe, als hätten wir gestern erst geprobt.
Die Stimme – über einen langen Zeitraum sogfältig geführt, betreut, gefördert und beharrlich trainiert – hält inzwischen von allein.

Ist alles Sonnenschein, wenn ich es nur will?

Wer glaubt, man könne sich Sonnenschein einfach herbeivisualisieren, ist blauäugig, oder hat sich von positiv-Denkern flachreden lassen. 
Sonnenschein kann man nicht herbeiwünschen; Sonnenschein ist oder ist nicht. 
Oder -?

Wenn mein Kind krank oder mein Mann zu einer anderen gezogen ist, wenn aus der Nachbarwohnung um zwei in der Früh  Heavy Metal röhrt oder ich in Panik bin vor dem morgigen Meeting im Büro, macht es wenig Sinn, wenn ich mir einrede, es sei ganz anders. Auch körperliche Schmerzen – sagen wir mal Ischias – fortdenken (-meditieren, -atmen…) können nur ganz wenige.
Wir Fußvolk sind also darauf angewiesen, mit dem Fehlen des Sonnenscheins irgendwie halbwegs würdevoll umzugehen.

Wenn ich den Sonnenschein nicht haben kann, dann will ich den Regen lieben.

Das ist nicht einfach, aber es geht.
Ein wichtiges Hilfsmittel auf diesem Weg: Lerne den Regen zu lieben!
Na super, sagst du – ich soll jetzt frohlocken, weil das Kind die Masern hat und ich keine Ahnung habe, was ich morgen bei dem Meeting vor all den anderen von mir geben soll -?!

Nein, nicht direkt frohlocken.
Nur… na sagen wir, den Widerstand etwas runterfahren.
So dass ein bisschen Luft wird zum Atmen. (Weil Widerstand ist Angst, und Angst macht eng, und wo es eng ist, lässt es sich nur schwer atmen… und wenn wir nicht gut atmen, können wir weder klar denken noch fein spüren).
Selbst der bestgepflegte Widerstand wird nichts an den derzeit herrschenden Tatsachen ändern und bloß Energie verschlingen. Also mal ein bissl weniger davon, ok?

Gut! 
Jetzt können wir mal durchatmen. Aaaaah.
Regen ist gut für die Landschaft.
Masern sind gut für…? Ok, eine Liste.
Für mein Daheimbleiben mit der Kleinen.
Für eine innigere Verbindung zwischen uns, während ich ihr die verschwitzten Haare aus dem Gesicht streiche.
Für das Vorlesen der schon lange überfälligen Geschichte.
Für die Inspiration, die mir diese Geschichte für das morgige Meeting liefert (Stichwort: Drachen können freundlich sein!).
Für die zehn Minuten atemberaubender Stille, wenn sie dann endlich schläft.
Für dieses ver-rückte Gefühl des Ruhens im Auge des Orkans.

Ist das Sonnenschein?
Kaum.
Aber es ist ein guter, satter Regen. Einer der vieles abwäscht, das lang schon verstaubt lag.
Einer, dem man gerne das Gesicht hinhält und lächelt.
Wenn ich den Sonnenschein nicht haben kann, dann will ich den Regen lieben.


© Dr. Helena Krivan, 2018